Cannabis zur Behandlung der Epilepsie

Cannabidiol (CBD) wird eine krampflösende Wirkung nachgesagt. Doch eignet sich Cannabis auch zur Behandlung von Epilepsie?

Ein Kommentar von Prof. Dr. Christian E. Elger, leitender Arzt der Beta Neurologie mit dem Kompetenzzentrum für Epilepsie in der Beta Klinik.

Im Jahr 2018 entwickelte sich in den wissenschaftlichen Zeitschriften, aber auch in den Informationen für medizinische Laien und Patienten geradezu ein Hype zur Frage, ob Cannabis eine geeignete Substanz zur Behandlung von Epilepsien ist. Einige seiner Patienten haben sogar ihr teilweise intensives „Kiffen“ damit gerechtfertigt. Andere fingen mit dem Gebrauch von Cannabis erst an, als sie ein Medikament zur Epilepsiebehandlung schlecht vertragen oder als unwirksam empfunden haben und gingen dann von einer sinnvollen Therapie aus. Zu dieser Thematik wurden sorgfältige medizinische Studien durchgeführt. Diese haben klare Ergebnisse ergeben. Da der Sachverhalt für Laien kompliziert ist, hat Prof. Dr. Christian E. Elger die wichtigsten Fakten zur Verwendung von Cannabis in der Epilepsietherapie zusammengestellt.

Was sind Epilepsien und wie entstehen sie?

Epilepsie ist keine klare und einheitliche Erkrankung. Sie ist vielmehr eine Mischung vielfältigster Störungen der Funktion des Gehirns unterschiedlichster Ursache mit der Gemeinsamkeit, epileptische Anfälle auszulösen. Genetische Defekte, Aufbaustörungen des Gehirns, Folgen von Unfällen, Hirntumoren, Schlaganfällen, Blutungen, Entzündungen und vieles mehr kommen ursächlich in Betracht. Die Anfälle können nur Teile der Hirnrinde (fokale Anfälle) oder die ganze Hirnrinde (generalisierte Anfälle) betreffen. Die Häufigkeit und die Ausprägung variieren von Patient zu Patient stark. Es gibt also nicht „die Epilepsie“, sondern eine Vielzahl von Epilepsien.

Wie sind Epilepsien klassisch zu behandeln?

Die Behandlung der Epilepsien mit Medikamenten ist eine Behandlung der Anfälle. Man kann dies mit der Schmerzbehandlung vergleichen. Sie dämpfen den Schmerz, aber sie beseitigen nicht die Ursache. Es sind ja auch nicht die gleichen Medikamente, die bei einer Migräne gut helfen und einen Tumorschmerz erträglich machen. So ist es auch mit den Medikamenten gegen Epilepsie. Ein Medikament kann bei einem Patienten sehr erfolgreich sein und bei einem anderen nahezu wirkungslos sein oder gar vermehrt Anfälle provozieren.

Die medikamentöse Epilepsietherapie ist sehr erfolgreich. Zirka 70 Prozent  aller Patienten werden durch die heute zur Verfügung stehenden Medikamente ohne größere Nebenwirkungen anfallsfrei. Die verbleibenden Patienten gelten als „pharmakoresistent“. Das heißt, die Wirksamkeit der Medikamente gegen Epilepsie ist bei ihnen nicht ausreichend, um eine stabile Anfallsfreiheit zu gewährleisten. Diese Patienten bilden zunächst die Zielgruppe für neue Medikamente. An Ihnen werden die Untersuchungen zur Wirksamkeit durchführt.

Kommt ein Medikament neu auf den Markt und ist über Apotheken verfügbar, gibt es in den ersten Jahren nur Informationen über die Medikamentenwirksamkeit bei dieser schwer behandelbaren Patientengruppe. Diese Informationen sind notwendig, um ein Medikament für die medikamentöse Epilepsietherapie richtig einordnen zu können. Erst nach einer gewissen Erprobungszeit an einer repräsentativen Anzahl von Patienten zeigt sich der wahre Wert der neuen Substanz.

Wie gut eignet sich Cannabis zur Epilepsie-Therapie?

Nun zurück zu den Epilepsiemedikamenten, die aus der Cannabispflanze (Haschisch, Marihuana, „Gras“) gewonnen werden.  Sie gehört zur Gruppe der Hanfpflanzen und wird medizinisch in vielen Kulturen seit Jahrhunderten, wahrscheinlich seit Jahrtausenden, als Heilmittel eingesetzt.  Die Pflanze besteht aus vielen biologisch wirksamen Substanzen. Es konnten sogar im Gehirn Cannabinoidrezeptoren nachgewiesen werden, die als „Endocannabinoidsystem“ bezeichnet werden und nicht nur auf von außen zugeführte Substanzen aus der Cannabispflanze reagieren, sondern auch durch vom Körper hergestellte „Endocannabinoide“ aktiviert werden. Als auch unter modernen pharmakologischen Gesichtspunkten für gut befundene Cannabisbestandteile gelten Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). THC ist für die Rauschmitteleffekte verantwortlich und wird medizinisch bei schwerer Spastik, bei Multipler Sklerose, bei starken Tumorschmerzen, Übelkeit und bei Gewichtsabnahme bei Tumorerkrankungen erfolgreich eingesetzt. Trotz einzelner Fallberichte konnte keine Studie bisher zeigen, dass THC überzeugende positive Effekte auf eine Epilepsieform hat.

Dies ist bei Cannabidiol anders. Cannabidiol (CBD) zeigte in verschiedenen Studien in speziellen Patientengruppen eine gute Wirksamkeit. Knapp die Hälfte der Patienten mit Dravet-Syndrom, eine seltene Epilepsieform im Kindesalter, und mit Lennox-Gastaut-Syndrom,eine Epilepsieform, die durch ihre Sturzanfälle besonders belastend für die Patienten ist, zeigt eine Verminderung der Anfälle um 50 Prozent. Zu berücksichtigen ist, dass in der Kontrollgruppe ohne wirksames Medikament etwa 20 Prozent der Betroffenen diese Verbesserung zeigten. Eine Studie ohne Kontrollgruppe an einer größeren Zahl von Patienten mit Pharmakoresistenz zeigte vergleichbare Ergebnisse. Eine Umfrage unter Ärzten, die auf Epilepsie spezialisiert sind, ergab zudem, dass fast 50 Prozent unter ihnen die Substanz einsetzen, obwohl die Erfahrung in kontrollierten Studien bisher gering ist.

Die medikamentösen Eigenschaften von CBD als Extrakt von einer Pflanze sind bisher nur unzureichend analysiert. So ist auch nicht eindeutig klar, ob der anfallsunterdrückende Effekt auf eine Veränderung der beim Patienten bereits vorhandenen Medikamente zurückzuführen ist, oder wirklich der Effekt von Cannabidiol ist.

Die vorliegenden Studienergebnisse entsprechen denen anderer neuer Medikamente in der Epilepsietherapie. Eine Euphorie, dass hier nun ein Wundermittel vorliegt, ist daher nicht gerechtfertigt. Cannabidiol ist eine weitere Möglichkeit, schwer behandelbare Epilepsien zu verbessern.

Die „Cannabis-Therapie“ in der Praxis

Die amerikanische Zulassungsbehörde (Food and Drug Aministration (FDA)) hat im Juni 2018 einem Medikament der Firma GW (Epidiolex) eine Zulassung für die oben beschrieben Epilepsieformen erteilt. Dieses Präparat kann über die Auslandsapotheke bezogen werden. Die Dosis sollte bei mindestens 10mg/kg Körpergewicht liegen. Im Prinzip kann auch durch einen Apotheker in Deutschland eine entsprechende Cannabidiollösung mit hohem Reinheitsgrad hergestellt werden. Die rechtlichen Hindernisse – denn Cannabisderivate unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz – hat der Gesetzgeben für den medizinischen Gebrauch bereits 2017 beseitigt. Trotzdem muss die Substanz mit einem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden.

Patienten sollte dabei die Kosten nicht unterschätzen. Je nach Körpergewicht fallen monatlich mindestens 2000 bis 3000 Euro Medikamentenkosten an. Dies ist erheblich mehr, als alle anderen zur Epilepsiebehandlung verfügbaren Medikamente. Es ist daher naheliegend, dass ein entsprechender Antrag gestellt werden muss, damit die jeweilige Krankenkasse oder -versicherung den Einsatz genehmigt. GW Pharmaceutical, der Hersteller der Lösung Epidiolex, bietet 2019 ihr Präparat in einem „compassionate use“ Programm an. Stimmt die Zulassungsbehörde zu, kann durch Ärzte unter bestimmten Bedingungen das Produkt kostenlos bezogen werden. Hier wird eine Dokumentationsauflage bestehen und der Gebrauch wird auf bestimmte Anfallsformen begrenzt sein. Vielleicht nimmt Ihr Arzt an diesem Programm teil.

Cannabis bei Epilepsie – ein weiteres Medikament, das helfen kann

Zusammenfassend soll festgehalten werden, dass ein spezieller Extrakt aus der Cannabispflanze, das Cannabidiol (CBD), antiepileptische Eigenschaften hat, die am Menschen in Studien untersucht wurden.  Psychische Effekte wie das THC hat es nicht. Es stellt eine Ergänzung der bisherigen Medikamente dar und wird als medizinische Lösung vom Apotheker hergestellt oder kann mit hohem finanziellen Aufwand über eine internationale Apotheke aus den USA bezogen werden. Ihre Wirksamkeit ist für bestimmte Epilepsieformen als hochwertig nachgewiesen. Ein Anlass, die Substanz als „Wundermittel“ anzusehen, besteht leider nicht.